Basis für Deutschlands Wachstum und Wohlstand bleiben offene Märkte

Beitrag von Simone Menne - Publikation „Geoeconomics - Ökonomie und Politik in der Zeitenwende" - Wirtschaftsforum der SPD

Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands in den letzten Jahrzehnten wäre nicht möglich gewesen ohne seinen starken Außenhandel und die internationale wirtschaftliche Vernetzung – vor allem mit den EUStaaten, den USA und China. Zentrale Vorrausetzungen dafür waren und sind die Teilnahme an der Globalisierung und offene, multilaterale Handelssysteme. Der Binnenmarkt von Deutschland wäre viel zu klein, um allein den Wohlstand und die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme zu tragen. Daher ist der Außenhandel auch keine Achillesferse unserer Volkswirtschaft, sondern ihr Rückgrat. Umso mehr müssen wir unter den national wie international schwierigen Rahmenbedingungen der Gegenwart die Grundlagen unseres Außenhandels und ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland festigen: Innovationskraft und -tempo, Ausbildungsqualität und Anzahl der Fachkräfte, Infrastrukturen in ihrer Dichte und Vielfalt, politische Stabilität auf allen Ebenen.

Das Volumen des Welthandels ist seit den 1970er Jahren auf das 60-fache gewachsen, obwohl in diesen 50 Jahren die Welt einige Krisen mit globalen Folgen erlebt hat. Die Anzahl und Heftigkeit solcher Krisen sind in den letzten fünf Jahren noch gewachsen, und die werden lange nachwirken: Internationale Lieferketten fast aller Branchen sind in der Corona-Pandemie gerissen, Russlands Aggression gegen die Ukraine hat Europas Friedensordnung zerstört, die hohe Zahl bewaffneter Konflikte in vielen Regionen der Welt behindert die Entwicklung der betroffenen Länder, den Kampf gegen Klimawandel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Trotz zunehmender protektionistischer Tendenzen in vielen Ländern ist der Welthandel eine der größten Chancen und Garantien für die effektive Lösung globaler Herausforderungen.

In diesem Zusammenhang ist die noch engere, noch nachhaltigere Zusammenarbeit der freiheitlichen Demokratien wichtiger denn je. Für AmCham Germany steht dabei die transatlantische Partnerschaft im Mittelpunkt. Es geht hierbei nicht um Blockbildung, sondern um die naheliegende Stärkung einer Partnerschaft, die auf den gleichen Werten und demokratischen Grundprinzipien beruht. Diese war und ist immer offen für alle, die diese Werte und Prinzipien teilen. Wenn diesen Partnern die Vertiefung ihrer Zusammenarbeit, der Ausbau von Handelsbeziehungen bzw. der Rückbau von Handelshemmnissen, die Einigung auf gemeinsame Normen und Standards, die Betonung gemeinsamer Interessen nicht gelingt, welche Ergebnisse könnten dann vom Dialog unterschiedlicher Politsysteme erwartet werden?

Doch auch unter wertebasierten Partnern ergibt sich die Priorität gemeinsamer Interessen gegenüber den nationalstaatlichen nicht automatisch. Die transatlantische Partnerschaft ist davon nicht ausgenommen. Die Biden-Harris-Administration folgt in der Wirtschaftspolitik drei Prämissen: der Ausrichtung der US-Außenpolitik an den Interessen der eigenen Mittelschicht, der Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit im unmittelbaren Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und der Förderung einer industriepolitisch gestützten Klimapolitik. Dieses oft als Bidenomics bezeichnete Wirtschaftsprogramm setzt in außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Positionen gegenüber China die Politik der Vorgänger-Administration fort und in der systemischen Auseinandersetzung ein umfangreiches defensives bis offensives Instrumentarium ein.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA vom Oktober 2022 werden die wirtschaftliche Sicherheit als integraler Bestandteil der nationalen Sicherheit erneut stark betont und zahlreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen aufgeführt. Mit dem Bipartisan Infrastructure Law (BIL), dem Chips and Science Act und dem Inflation Reduction Act (IRA) setzt die Biden-Harris-Administration die umfassende Abstimmung von Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik um. Da für sie vor allem China und Russland die regelbasierte globale Ordnung stark geschwächt haben, ist für die nationale Sicherheit der USA von großer Relevanz, Investitionen und den Abfluss von Hochtechnologien in Richtung dieser Staaten zu verhindern – heute mehr als in den vergangenen Jahrzehnten, und noch mehr in Zukunft.

Das Ziel, Industrieproduktion mit großer Wertschöpfung wie der von Batterien für E-Autos oder Hochleistungschips in den USA auszubauen, ist durch den BIL wie IRA mit attraktiven Fördermaßnahmen verbunden. Doch die Art der Anforderungen, einheimische Materialien zu nutzen, diskriminiert zugleich Handelspartner. Generell gehören Verhandlung und Abschluss klassischer Freihandelsabkommen nicht zu den Schwerpunkten der Biden-Harris-Administration, auch nicht mit einem wichtigen Partner wie der Europäischen Union. Maßgebliches Forum der Verhandlungen auf hoher Ebene wurde der EU-US Trade and Technology Council (TTC), der in diesem April zum sechsten und letzten Mal vor den EU-Wahlen im Juni und den US-Präsidentschafts-sowie Kongresswahlen im November tagen wird. Der TTC und seine zehn Arbeitsgruppen haben von Beginn an einige heikle Themen ausgeklammert, können aber auch wichtige Erfolge vorweisen, z.B. auf den Feldern Künstliche Intelligenz und Quantencomputertechnologie. Auf Gebieten wie Handel und Standards muss die Arbeit deutlich schneller und wirksamer sein, um in den unruhigen Zeiten die transatlantische Partnerschaft weiter zu stärken.

Offene Märkte und Rohstoffpartnerschaften im Zentrum der EU-Handelspolitik

Die Dominanz der nationalen Sicherheit in der US-Wirtschaftspolitik und der Systemwettbewerb mit China lässt die EU immer wieder ihre Wirtschafts- und Handelspolitik kalibrieren. Ihre Strategie für wirtschaftliche Sicherheit versucht den politischen Spagat: die wirtschaftliche Souveränität der Gemeinschaft stärken und zugleich die Offenheit der europäischen Wirtschaft gewährleisten.

Zentrales Ziel der EU ist die Flexibilisierung der wirtschaftlichen Stabilität. Im Mittelpunkt der Brüsseler Pläne stehen dabei Rohstoffpartnerschaften und Freihandelsabkommen, um neue Märkte zu öffnen, Handelsabhängigkeiten der Gemeinschaft zu reduzieren und Wertschöpfungsketten zu diversifizieren. AmCham Germany unterstützt diese Pläne ausdrücklich. Doch die Fakten nähren oft Zweifel, ob offene Märkte tatsächlich das primäre Ziel der EU-Handelspolitik sind. Diese wurde und wird immer wieder von komplexen politischen Zielen überlagert bzw. dominiert, z.B. denen der Nachhaltigkeitspolitik. Wer zu viel gleichzeitig will, verhindert das Gelingen; das zeigt nicht nur das Scheitern der TIPP-Verhandlungen.

Nichtdestotrotz ist anzuerkennen, dass die EU mit der Ratifizierung der Handelsabkommen mit Chile, Kanada, Kenia und Neuseeland wichtige Erfolge erzielt hat. Ebenso wichtige Verträge mit den Mercosur-Staaten und Australien stehen noch aus;sie würden die Rohstoffsicherheit und Diversifizierung des EU-Außenhandels außerordentlich verbessern. Verhandlungen zwischen Partnern, die Prinzipien und Werte teilen, sollten nicht Jahre oder gar Jahrzehnte dauern.

Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Friedensordnung Europas sowie den Verzicht Deutschlands auf die Nutzung eigener Ressourcen, z.B. bei Erdgas und seltenen Erden, werden Rohstoffpartnerschaften der EU essenziell. Das hat sich auch in der IRA-Debatte zwischen der EU und den USA gezeigt. Die erwartete Einigung beim geplanten EU-US-Abkommen über kritische Rohstoffe zieht sich hin. Aber die transatlantischen Partner wissen, was auf dem Spiel steht, wenn ihnen nicht die Einigung vor den Wahlen im Juni und November gelingt.

Protektionistische Aktionen zur Absicherung innenpolitischer Ziele sind, wenn überhaupt, nur kurzfristig wirksam. Die Gegenmaßnahmen betroffener Handelspartner können jeden vermeintlichen Vorteil schnell aufzehren,zeitnah Versorgungsprobleme oder Kostennachteile erzeugen und führen immer zu hochdrehenden Aktivitätsspiralen. Langfristig sind die Nachteile von Protektionismus noch größer. AmCham Germany setzt sich daher auch dann für offene Märkte ein, wenn protektionistisches Getöse zunimmt:

Erstens, offene Märkte garantieren nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern stabilisieren auch Außenbeziehungen. Insbesondere die transatlantischen Partner müssen Handlungsfähigkeit beweisen und vorhandene Interessensdifferenzen so effektiv wie effizient lösen. Das ist im Systemwettbewerb von entscheidender Bedeutung und dient gemeinsamen Sicherheitsinteressen.

Zweitens, offene Märkte und marktwirtschaftlicher Wettbewerb sind die stärksten Innovationsmotoren. Damit diese Motoren nicht ins Stottern geraten oder gar abgewürgt werden, sollte gelten: Nicht so viel Regulierung wie möglich, sondern so viel wie nötig. Nur ein Beispiel: Aufwendigste Dokumentationspflichten wie beim Carbon Border Adjustment Mechanism der EU oder dem Lieferkettengesetz treiben die Kosten und binden Energien, ohne angemessen die politischen Ziele zu erreichen.

Drittens, je mehr gemeinsame Standards EU und USA etablieren, umso nachhaltiger, fester entwickeln sich gemeinsame Interessen, eines der wirksamsten Argumente gegen protektionistische Konzepte.

Kein anderer Wirtschaftsraum weltweit ist so stark integriert wie der transatlantische von EU und USA mit einer Größe von 7,1 Billionen US-Dollar und 16 Millionen gegenseitig geschaffenen Jobs. Seine weitere Integration,zum Beispiel durch sektorale Handelsabkommen, würde die Rahmenbedingungen stabilisieren und attraktive Perspektiven bieten für Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks. Je breiter und intensiver die transatlantische Partnerschaft sich entwickelt, umso größer werden die Impulse für ihr Wachstum, ihren Wohlstand und ihre Sicherheit sein.

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Heather Liermann

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